Dienstag, 17. Februar 2009

Neues vom Habl TABULA RASA



VON http://www.manfred-habl.de Ausstellung in der städtischen Galerie Pfaffenhofen vom 13-22. Feb. 2009
Eine leere Leinwand gibt mir und Ihnen die Möglichkeit gemeinsam zu gestalten, etwas vollkommen Neues zu schaffen.
Beim Kauf einer „Tabula Rasa entscheiden Sie sich, mir die Gelegenheit zu geben, nur für Sie ein Kunstwerk zu erstellen.
Tabula Rasa beschreibt im übertragenen Sinn, die menschliche Seele in ihrem ursprünglichen Zustand. Das ist die Grundlage meiner Arbeit.
Sie folgt keinem Trend, keiner Mode und auch keiner wirtschaftlichen Größe.
Das Ergebnis kann geheim, oder öffentlich werden, Sie entscheiden.
Ihre Offenheit für Neues, unser Mut zum Experiment und meine Erfahrung des positiven Scheiterns geben die Garantie für gelebte Kunst.
Jedes Leben ist ein Kunstwerk und jedes neue Bild ist ein Fenster zur Welt.

Manfred Habl

Artikel in hallertau.info
Wasser, Brot und Gummibärchen: Manfred Habls „Tabula rasa“
http://www.hallertau.info/?StoryID=45&newsid=39811

Artikel im Donaukurier von Verena Vogl
Neues vom schöpferischen Schlitzohr
http://www.donaukurier.de/lokales/pfaffenhofen/art600,2037614

Eröffnungsrede H. Inderwies (ungekürzt)

„Neues vom Habl“: Ausstellung in der Städtischen Galerie
Vernissage am 13.02.2009

„Dieses Blatt war leer,
bevor ich es beschrieb.
Einst war es mal ein Baum im Wald.
Jetzt ist es nur noch Blatt,
das ich beschrieb.“
(Nicole Honscheid)

Von der Schülerin eines Leistungskurses Deutsch am Gymnasium stammen diese Zeilen. Gedichte sollten verfasst werden, die den Prozess künstlerischen Schaffens erhellen. Sie hat ihre Verse mit „Tabula rasa“ überschrieben.
Damit ist über leere Leinwände und einen unverkäuflichen Bilderrahmen eigentlich schon alles gesagt. Ich könnte meine Einführung in diese Ausstellung bereits jetzt beenden und Sie könnten wieder an das Büfett der Gummibärchen zurückkehren, ... wenn Sie nicht, liebe Freunde der Kunst, wenn Sie nicht mit einer bestimmten Erwartungshaltung hierher gekommen wären, der die augenblickliche Situation wohl kaum entsprechen kann. Ich muss Sie deshalb zuerst wieder in ein seelisches Gleichgewicht bringen, Sie ein wenig beruhigen, bevor ich Sie entlasse.

Denn der erste Eindruck dieser Ausstellung hat Sie als Besucher doch gewiss überrascht, ziemlich irritiert, vielleicht sogar schockiert! Und Sie mögen den Eindruck gewonnen haben, dass unser Manfred Habl einmal wieder (wie seinerzeit mit dem vergoldeten Klo auf dem Hauptplatz oder jener Idee, einen Tresor in der Ilm schwimmen zu lassen, was dann das Wasserwirtschaftsamt verhindert hat) einen seiner künstlerischen Schabernacks mit Ihnen treiben will. Er macht ja auf die Öffentlichkeit nicht selten den Eindruck, dass er allenthalben sehr gerne das schöpferische Schlitzohr spielt, das mit Vorliebe provoziert. Das beherrscht er hervorragend.

Aber mit solcher Vermutung liegen Sie gänzlich falsch! --- Nein, meine Damen und Herren, diese Ausstellung ist wie das Meiste im Leben unseres Künstlers todernst gemeint. Denn dieses „Neue von Habl“, wie er es angekündigt hat, will Sie keineswegs veralbern, keineswegs auf den Arm nehmen, nicht verhohnepipeln, wie man im Norden, oder verarschen, wie man eher im Süden sagen würde. Schließlich will er Ihnen diese leeren Leinwände ja verkaufen. Lassen Sie sich also nicht provozieren! Nehmen Sie es zunächst so wie es in Erscheinung tritt, das Neue dieser Ausstellung: Registrieren Sie es ganz nüchtern und gelassen als eine Ansammlung leerer unbearbeiteter Leinwände, die ihr unschuldiges jungfräuliches Weiß noch nicht verloren haben! Registrieren Sie es als „Tabula rasa“!

Erst wenn Sie sich von Ihrer Überraschung ein wenig erholt haben, sollten Sie vielleicht doch das Bedürfnis empfinden, sich so ganz langsam ein Bild davon zu machen, was „Tabula rasa“ für Sie bedeuten und wie für Sie dieses „Neue“ aussehen könnte. Jedem Einzelnen eröffnet sich da ein unermesslicher Spielraum für eine phantasievolle Ausgestaltung. Eine Unzahl von möglichen Beispielen habe ich allein im Internet entdeckt:

„Tabula rasa“ nennt sich ein Halter für Notizzettel, mit dem man Ordnung schafft, ein Tischsauger, der auf Knopfdruck Krümel beseitigt, eine Kindertagespflege in Luckenwalde, ein Nachtclub im Württembergischen, in dem man textile Freizügigkeit pflegt. Oder werden Sie vielleicht an jene Schlagzeile „Tabula rasa bei den Löwen“ erinnert, mit der in der letzten Woche die Druckmedien die sportliche Situation eines Münchner Fußballclubs umschrieben haben, der wieder einmal eine „neue sportliche Ausrichtung“ sucht, - vielleicht auch an eine Möbelfirma, die sich „Tabula rasa“ nennt und Lowboards und Tische für das zweite Jahrtausend baut, wie es in ihrer Werbung heißt? Oder denken Sie gar an den „a capella – Chor“ aus St. Johann im Pongau, der sich „Tabula rasa“ nennt und womöglich keine Lieder singt, an jene cremige crazy Afterwork – Party, die in Berlin seit Neuestem als Feierabendprogramm angeboten wird oder gar an das Luzerner Kindertheater, in dem die Besucher in die Gestaltung märchenhafter Aufführungen einbezogen werden bzw. an eine philosophische Zeitschrift für kritisches Denken, herausgegeben an der Universität Jena, die sich gleichermaßen den Namen „Tabula rasa“ gegeben hat? Dem Spielraum der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Ohne Probleme könnte man diese Aufzählung fortführen und dabei zurückgehen bis in das 4. Jahrhundert vor Christus, als wohl zuerst Platon in seinem „Theaitetos“ (θεαιτήτος) – Dialog und Aristoteles in seiner Abhandlung über die Psyche (damals identisch mit der Vernunft des Menschen) den Sachverhalt dieser Metapher beschrieben haben, die dann Albertus Magnus mit „Tabula rasa“ ins Lateinische übersetzte. Die Seele verglich die antike Philosophie mit einer „leeren, unbeschriebenen Tafel“, wenn sie in die Welt hineingeboren wird, bzw. mit einer „geglätteten und sauberen“, wenn man sie in ihrem späteren irdischen Leben wieder in einen reinen Zustand zurückversetzt. Auf Wachstafeln schrieb man im Altertum. Und wollte man die Schrift, wollte man die Notizen hernach entfernen, so wurde damals an Stelle eines Tintentods der umgedrehte Griffel als Schaber benutzt, um Störendes oder Überflüssiges zu beseitigen und wieder eine glatte, jungfräuliche Fläche zu schaffen, die dann abermals als Schreibfläche benutzt werden konnte. Im übertragenen Sinn bedeutet dieser Vorgang heute auf Grund einer etwas weit hergeholten Übersetzung des Lateinischen nichts anderes als „reinen Tisch machen“, indem man alles das, was in der Vergangenheit geschehen ist, alles, was sich angesammelt hat, alles, was man erlebt und vollendet und verarbeitet hat, beseitigt, um einen Neuanfang machen zu können. Verschiedene Richtungen der abendländischen Philosophie, die sich von Platon und Aristoteles an bis zum heutigen Tag mit dem Problem des Erwerbs von Wissen und dem Wesen von Wissen beschäftigt haben (ein nach wie vor hochaktuelles Thema!), bedienen sich dieses Modells der Wachstafel, indem sie mit ihr den Geist des Menschen vergleichen, der keine Erfahrungen in die Welt mitbringt, sondern ein leeres
unbeschriebenes Blatt darstellt und der erst dann durch seine Fähigkeit etwas wahrnehmen zu können, im Laufe der Zeit Erfahrungen macht und zu Erkenntnissen und zu Wissen gelangt. Da aber unser Dasein sich in einem ständigen Prozess und Wandel befindet und der einzelne Mensch seit langer Zeit schon das ganze angesammelte Wissen dieser Welt nicht mehr mit seinem geistigen Potential zu speichern vermag, ist er geradezu gezwungen, zugunsten neuer Erfahrungen und neuem Wissen Altes zu vergessen, ruhen zu lassen oder ganz einfach als Ballast über Bord zu werfen.

„Was ist Neu?“ fragt sich Manfred Habl in der Ankündigung seiner Ausstellung und beantwortet diese Frage auf gleiche Art und Weise: „Neues bedeutet für mich erst mal, dass Altes keine Macht mehr über mich hat. Die Schatten und Begrenzungen der Vergangenheit haben sich aufgelöst.“ Er will damit, wie ich es in einem Roman von Enne Cordes, der mit „Tabula rasa“ tituliert ist, gelesen habe, seiner Vergangenheit gewissermaßen die rote Karte zeigen. „Wenn ich in den Keller meiner Kindheit hinabsteige“, so Habl, „finde ich nur fertige Ideen und aufgelassene Baustellen.“ Und diese Vergangenheit, in der Vieles „verarbeitet“, Vieles vollendet wurde, vermittelt ihm zum einen die Gewissheit etwas verändern und bewältigen zu können und gibt ihm zum andern den Mut zu immer neuem Anfang.

„Eigentlich bin ich heute in die Städtische Galerie gegangen, um an der Eröffnung einer Kunstausstellung teilzunehmen und nicht einen philosophischen Vortrag zu hören!“ mögen manche von Ihnen im Augenblick vielleicht denken. Aber was ich Ihnen bis jetzt vorgetragen habe, hat mit dem ureigensten Selbstverständnis einer Kunstrichtung zu tun, die ihre historischen Wurzeln im Dadaismus hat, vorweg Literatur und Malerei betraf und bis zum heutigen Tag der dichterischen wie bildenden Kunst wichtige, wegweisende Impulse verleiht. Dies gilt auch für Manfred Habl und seine Ausstellung!

Jene ihm geistesverwandten Emigranten, die sich ab 1916 um Hugo Ball in Zürich scharten (u.a. Hans Arp, Tristan Tzara, Richard Huelsenbeck) und sich regelmäßig im „Cabaret Voltaire“ trafen, nannten sich bewusst nicht „Dadaisten“. Sie wollten sich, ebenso wenig wie Manfred Habl, nicht in die begriffliche Zwangsjacke einer Kunstgattung hineinpressen lassen. Man sollte da auch sein heutiges überraschendes Outfit nicht als Zugeständnis an irgendwelche Konventionen deuten. Das wäre grundfalsch. Denn seine Künstlervorfahren fühlten sich vor allem nach 1918 als Revolutionäre dazu berufen, die verlogene konventionelle Moral, Politik und Kunst der bürgerlichen Gesellschaft, die man für das ganze Unheil des
1. Weltkriegs verantwortlich machte, zu entlarven und bloßzustellen. Das Ziel ihres Protests bestand darin, reinen Tisch zu machen. Das Leben, auf eine „Tabula rasa“ zurückgeführt, sollte den Schock, den dieser verheerende Krieg verursacht hatte, überwinden und einen gänzlichen Neuanfang nehmen. Eine innere Erneuerung des Menschen sah man als Voraussetzung für eine bessere Zukunft. Sicherlich auch heute noch ein probates Heilmittel! Dass sich die Kunst des Dadaismus, er war nichts anderes als ein übersteigerter Expressionismus, deshalb auch deutlich distanzieren, ja absetzen musste von traditionellen Auffassungen, liegt im Wesen seiner Intention. Nur mit extremen, Aufsehen erregenden Mitteln, mit Reklamebluffs, satirischer Überspitzung, ja Verhöhnung und auch Skandalen war die verkrustete Moral der bürgerlichen Gesellschaft aufzubrechen. Für den Surrealismus, der stärkere futuristische Züge besitzt und vor allem auf eine totale
Bewusstseinsänderung im Sinne einer neuen Sichtweise unseres Daseins abzielt, bis hin zu Salvadore Dali und teilweise auch Picasso haben die Dadaisten sozusagen den „Urknall“ gesetzt.

Und ein Zweites gehört zu diesem kunsthistorischen Prozess und damit auch zu dieser Ausstellung von Manfred Habl: Eine andere Form von Selbstverständnis und Präsentation bildender Kunst! Ich meine damit die Aktionskunst!
Action Painting hat sie erstmals 1952 für eine bestimmte Auffassung und Art des abstrakten Malens in Amerika der Kunstkritiker Harold Rosenberg genannt! Jackson Pollock ist einer ihrer Initiatoren. Nicht um das fertig gestellte, das vollendete Bild, das am Kunstmarkt verkauft wird, geht es hier in erster Linie. Denn dieses Bild ist bereits Vergangenheit, ist bereits Geschichte und besitzt damit nichts mehr Neues. Kunst muss Gegenwart sein, war vielmehr das Postulat. Und sie ist es nur dann, wenn ihr Entstehungsprozess in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt. Es geht also um die Erfahrung, die Künstler und Kunstfreund bei der Entstehung eines Kunstwerks machen. Der malende Künstler inszeniert seine Arbeit als ein Geschehen, das dem Handlungsverlauf eines auf der Theaterbühne stattfindenden Stücks entspricht. Die Malfläche, die „Tabula rasa“, wird zur Aktionsfläche des künstlerischen Handelns, das durchaus eine Gefühlslage offenbart, inszeniert wird und eine Strategie besitzt und keinesfalls nur einem absoluten Zufall unterworfen ist. Nicht das fertige Bild steht also im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern der Prozess seines Entstehens. Und dieser Prozess der künstlerischen Arbeit soll vor allem auch die Kommunikation mit dem Publikum intensivieren, indem sie den Betrachter einbezieht in das künstlerische Geschehen so wie es beim Straßentheater der Fall ist.
Denken Sie zurück an die Ausstellung von Norbert Käs, der hier in diesem Raum ein Atelier aufbaute, um hier dem Besucher seine Arbeitsweise zu demonstrieren! Werfen Sie einen Blick auf das Programm unseres städtischen Kultursommers 2008, den letzten, den wir, ich meine das alte Kulturtrio, noch gestalteten: Bootsrallye am Gerolsbach, Biberburg am Sparkassenplatz, bei der die Vorübergehenden nach ihrem Geschmack und Verständnis Veränderungen vornehmen durften, Transparente und Fahnen, die Ortseingänge und Straßen unserer Stadt für Wochen und Monate veränderten, Tanja Röders Bildhauerpräsentation am Hauptplatz, der Holzbildhauer-Workshop „Kreis des Lebens“ und nicht zuletzt das Familienprojekt von Manfred Habl selbst, das er „Farbenwald - Farbenpracht“ nannte und bei dem der Prozess künstlerischen Schaffens in das Leben der beteiligten Väter, Mütter und Kinder hineinwirken sollte.

Der Kommunikationsaspekt spielt bei der Aktionskunst die zentrale Rolle. Sie, meine Damen und Herren, die Sie sonst meist nur Betrachter von fertigen Bildern sind, die, wie ich sagte, lediglich Vergangenes, Erinnertes, vor Augen führen, sollen im Rahmen dieser Ausstellung in die Arbeit am Bild, in seine Entstehung einbezogen werden. Sie sollen bei der Gestaltung des Kunstwerks mitwirken. Sie sollen so den künstlerischen Prozess hautnah miterleben und an ihm teilhaben. Ihr Persönlichkeitsbild soll in das Gemälde einfließen, für das Sie zunächst eine leere Leinwand kaufen.
Manfred Habl wird mit Ihnen zusammen das künstlerisch umsetzen, was Sie von sich, von Ihrer Person, in das zu malende Bild einfließen lassen. Dadurch wird der künstlerische Prozess zu unmittelbarer Gegenwart für Künstler und Kunstfreund. Und eben das ist Intention und Zielsetzung dieser vielleicht ungewohnten, aber durchaus geistes- und kunstgeschichtlich fundamentierten Ausstellung.

Kunst ist für Manfred Habl nicht etwas Abgehobenes, nicht etwas Geschichtliches. Kunst ist für ihn „die kindliche Freiheit, jeden Tag 24 Stunden neu zu sein“, wie er sagt, „und gelassen mit der Gegenwart zu spielen.“ Sein goldenes Klo war seinerzeit nicht nur ein Schabernack, auch nicht allein Appell, um auf die Notwendigkeit von Toiletten auf dem Hauptplatz aufmerksam zu machen. Da hätte ein Transparent gereicht. Nein! Kunst sollte hier in Funktion treten, sollte als Prozess unmittelbar in das Leben unserer Stadt hineinführen und wirksam werden. Jeder konnte dieses Klo schließlich ja auch benutzen. Dazu noch ein goldenes! Wie vielen ist das in ihrem Leben schon vergönnt? Zwischenzeitlich aber gehört es der Vergangenheit an. Es gehört nur mehr zur abgelegten und archivierten Kulturgeschichte Pfaffenhofens, ebenso wie jetzt auch meine Einführung, die ich auf diesem Blatt Papier festgehalten habe:
„Dieses Blatt war leer,
bevor ich es beschrieb.
Einst war es mal ein Baum im Wald.
Jetzt ist es nur noch Blatt,
das ich beschrieb.“

Ich wünsche Ihnen allen, die sich bei der Entstehung neuer Kunstwerke aktiv beteiligen, Kreativität und Freude und ein hohes Maß an Selbstverwirklichung und dir, lieber Manfred Habl, viel Erfolg bei der neuen künstlerischen Herausforderung.

Hellmuth Inderwies

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